Historisches Kalenderblatt 1989 - 2009 (Teil 4): 10. Oktober 1989 - Demokratischer Aufbruch und Neues Forum stellen sich vor

Am 10. Oktober notierte Margot Friedrich in ihrem Tagebuch: "Sonst tat sich noch nichts in Eisenach". Das "sonst" bezog sich dabei auf eine Informationsveranstaltung, die an jenem Abend in der Paul-Gerhardt-Kirche stattgefunden hatte. Der Demokratische Aufbruch und das Neue Forum stellten sich vor.
Unter der Oberfläche aber brodelte es gewaltig. "In den letzten Stunden nehmen die Diskussionen zu den erfolgten genehmigten Aussiedlungen von Personen, die die BRD-Botschaft in Prag blockiert hatten, unter der Bevölkerung zu", teilte die Kreisdienststelle Eisenach der Staatssicherheit ihrer vorgesetzten Behörde am 5. Oktober mit. "In der sturren (!) Führung unserer Partei- und Staatsführung" erkannten die Sicherheitsoffiziere wohl nicht ganz zu Unrecht einen Hauptgrund für die Massenflucht.

Doch zurück zu jener Veranstaltung, die am 10. Oktober etwa 500 Menschen zur Eisenacher Paul-Gerhardt-Kirche lockte. Nur 300 fanden Platz in dem kleinen Domizil; weitere 200 blieben vor der Kirche. "Wir informieren", so Margot Friedrich, "so gut wir können, über die vielfältigen Initiativen, die das Land durcheinanderbringen. Die Stimmung ist aufgeregt. Scharfe Diskussionen."

Für die Eisenacher Staatssicherheit schien die Veranstaltung von besonderer Bedeutung. Bereits einen Tag später ging eine vierseitige Operativ-Information an die Vorgesetzten nach Erfurt. In der brüstete man sich, vorab mit einigen der führend beteiligte Personen "Disziplinierungsgespräche" geführt zu haben - mit dem Erfolg, dass es "nicht zu einer nachfolgenden Demo oder anderen Provokationen" gekommen sei. Aber auch darauf wäre die Behörde mit dem "langen Namen" vorbereitet gewesen.

Bereits seit Herbst 1988 gab es eine Vereinbarung der Staatssicherheit mit Polizeikräften über das politisch-operative Zusammenwirken (POZW) "bei Untersuchungshandlungen gegen größere Personengruppen, die mit provokativ-demonstrativen Handlungen in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten." Im Klartext: Hätte sich eine öffentliche Oppositionsbewegung in Eisenach zu diesem Zeitpunkt gebildet, so wären die vermuteten "Rädelsführer" sofort verhaftet worden. "Zuführung der handelnden Personen" in "das Objekt der SV Dynamo am Siebenborn" und deren "sofortige Befragung" - sprich: Verhör - durch Mitarbeiter der Kriminalpolizei, sah das Papier vor. Man hoffte so, größere oppositionelle Bewegungen in Schach halten zu können.
Es ist zu diesem Szenario nie gekommen. Auch nicht im Herbst des Jahres 1989, der die friedliche Revolution einleitete.