Kalenderblatt 1989 - 2009 (Teil 10): 9 November- der Tag als die Mauer fiel

Am Abend des Donnerstags, 9. November gab Günther Schabowski in einer Pressekonferenz in Berlin eine neue Reiseregelung bekanntgegeben, die jedem DDR-Bürger Privatreisen ins Ausland ohne besondere Voraussetzungen ermöglichen sollte. Anfangs herrschte Ungläubiges Staunen bei den DDR-Bürgern, als sie diese Nachricht im Fernsehen sahen. Doch im Laufe der Nacht öffneten sich unter dem Ansturm der Menschen die Grenzübergänge in Berlin.
Die Dramatik der Ereignisse auch in unserer Region zeigt der so genannte Lagefilm des "Operativen Diensthabenden" beim Volkspolizeikreisamt Eisenach. Danach erhielt er von der Bezirksdirektion der Volkspolizei Erfurt am 9. November um 20.34 Uhr die Weisung, "alle Bürger, welche ständig aus der DDR ausreisen wollen, ab sofort nach der BRD passieren zu lassen." Um 22 Uhr meldete er, dass die ersten Bürger der DDR ausgereist seien. Mit Beginn des 10. Novembers erhielt er von der Grenzübergangsstelle (GÜSt) Wartha die Nachricht: "Ab sofort wird die GÜSt Wartha geöffnet, bzw. alle Personen können nach der BRD ausreisen. Zur Zeit stünden dort 80 Pkw. Und um 2 Uhr morgens schließlich meldete der Grenzposten: "Ca. 250 Kfz haben KP Wartha nach BRD passiert." Lakonisch fügte der Posten ans: "Sonst keine Besonderheiten."
In den frühen Morgenstunden des 10. November füllte sich die Autobahn bei Eisenach. Nur schleppend vollzog sich die Abfertigung am Grenzübergang Wartha/Herleshausen. Angesichts der Menschenmassen, die es in den Westen zog, glich diese Grenzübergangsstelle einem Nadelöhr. Doch die DDR-Bürger ertrugen die Wartezeiten von zwei bis vier Stunden geduldig. Am 11. November staute sich der Verkehr dann auf der Autobahn bis nach Gotha (!) zurück.
In Eisenach bildete sich am 10. November vor dem Gebäude der Volkspolizei in der August-Bebel-Straße eine rund 100 Meter lange Schlange. Die Eisenacher wollen sich hier einen Stempel als Visum für die einmalige Ausreise geben lassen.

Leider fehlt die "Thüringische Landeszeitung" vom 10. November im Stadtarchiv als Quelle. Die Gründe können verschiedene sein. Tatsache ist, dass Zeitungen in diesen Tagen im November eine begehrte Informationsquelle waren. Die produzierten Stückzahlen lagen in diesen Tagen weit hinter dem Informationsbedarf der Bürger zurück.  Dies beschreibt sehr anschaulich ein Leserbrief am 11. November, den die Leserin mit "Ausverkauf an Zeitungskiosken" überschreibt. Darin schildert sie ihre Bemühungen, am frühen Morgen eine Tageszeitung zu kaufen. Bereits wenige Minuten nach Öffnung des Zeitungskiosks um 7 Uhr waren sämtliche Tageszeitungen verkauft - selbst "irgendeine Tageszeitung" hätte sie in Kauf genommen, doch nichts war mehr zu haben.

Diese Tage im November haben die politische Landkarte nachhaltig verändert. Eisenach hatte das Glück durch seine Grenznähe unmittelbar am Geschehen teilzuhaben. Die meisten Bürger nutzten diese Tage für einen Kurzbesuch "im Westen", um zum Beispiel ihre bis dahin weitgehend unbekannte Partnerstadt Marburg zu besuchen. An diesen ersten Besuch erinnern sich die Eisenacher sicher gern - eine Erinnerung, die sie mit vielen teilen können.